Auf dem unsicheren Terrain des polnischen Frauenfußballs

Patrycja zum Spielauftakt. ©Katarzyna Mazur

Die Spielerinnen der Frauenfußballmannschaft Olimpia Szczecin haben es bis in die Ekstraklasa, die polnische Bundesliga, geschafft. Trotzdem haben sie oft das Gefühl, immer noch als Nischensportler gesehen zu werden. Über die Position und Wahrnehmung der Frauen in einer nachwievor Männer-dominierten Sportart.

Das Training der Spielerinnen der Frauenfußballmannschaft Olimpia Szczecin fängt gleich an. Die Olympionikinnen, wie die Spielerinnen hier genannt werden, sind jung und tragen die gleichen blauen Trikots. Sie haben unterschiedliche Geschichten und Träume, kommen aus unterschiedlichen Orten. Was sie aber verbindet, ist der Fußball, der zum Lebensinhalt geworden ist. Das Team ist eine Art Mikrokosmos, ein wichtiger Bezugspunkt. Es ist eine Linse, durch die viele der Spielerinnen die Welt betrachten. Wichtig ist, was Einfluss auf ihr Privatleben oder auf das Team hat.

Bevor es raus auf den Rasen geht, tauschen sich die Spielerinnen kurz aus – Hauptthema sind heute die Abiturprüfungen, die einige von ihnen gerade hinter sich haben. Mathe war besonders schwierig dieses Jahr, Polnisch ging einigermaßen. Dann ist Zeit für Haare, Schuhe, Nägel, Make-up. „Meine Zahnspange soll bitte rausretuschiert werden”, schäkert eine der Spielerinnen, die für ein Foto posiert und dabei breit lächelt.

Während des Trainings gibt es ganz klare Regeln. Interpretation, Fragen oder Zweifel sind hier fehl am Platz. „Mädels, bewegt euch, ihr spielt schließlich Fußball!” Gerade diesen Tonfall wissen die Spielerinnen zu schätzen. Man kann sich hier erholen, abschalten, den Kopf von Sorgen und Problemen freikriegen. Denn auf dem Spielfeld zählt nur der Ball, das Hier und Jetzt, eine Urgewalt. „Linkes Bein, was willst du hier mit dem rechten, hä?“ Direkt nebenan trainieren die Juniorinnen – Mädchen im Alter von 7 bis 8 Jahren. Die Trainerinnen der beiden Gruppen begrüßen sich mit einem kurzen „siema!“, was ähnlich wie „Tagchen!“ ist. Wenn sie über die Spielerinnen sprechen, verwenden sie nur die Nachnamen: „Ratajczyk ist verletzt“.

Kick it like Szczecin

Trainiert wird montags bis freitags, unabhängig vom Wetter, im Stadion von Pogoń Szczecin – der männlichen Erstligamannschaft aus dem Küstenort im Nordwesten des Landes. Neben den Olympionikinnen trainieren hier also auch Pogoń-Spieler, Männer und Jungs in unterschiedlichen Altersgruppen.

Der Stadtclub Olimpia existiert seit 13 Jahren und war schon immer ein reiner Frauenklub, erinnert sich Piotr Spunda, einer der vier Gründer des Vereins und ehemaliger Schiedsrichter. Zurzeit ist Olimpia die einzige Frauenmannschaft in Szczecin. Die Spielerinnen spielen in der sogenannten Ekstraliga, also der ersten polnischen Liga, in der sie diese Saison auf Platz 6 liegen – das beste Ergebnis in der Geschichte der Mannschaft.

Florian Krygier Stadion in Szczecin. Die Spielerinnen des MKS Olimpia wärmen sich vor dem Training auf. ©Katarzyna Mazur

Die Spielerinnen verbringen viel Zeit miteinander, auf dem Platz aber auch außerhalb. Manche, vor allem die, die nicht aus Szczecin kommen, mieten gemeinsam Wohnungen oder leben im gleichen Studentenwohnheim. „Manchmal streiten wir uns auch außerhalb des Platzes, aber im Spiel sind wir immer ein Team”, sagt Weronika Szymaszek, linke Verteidigerin und Studentin der Sporthochschule in Szczecin. Sie studiert im zweiten Semester, stammt ursprünglich aus Kamień Pomorski. Bei Olimpia kickt sie seit dreieinhalb Jahren. Roksana Ratajczyk, die auch in der U19-Nationalmannschaft spielt, bestätigt das: „Wir sind eine Familie auf dem Spielfeld und auch außerhalb.“

„Es gibt Situationen, in denen wir die Nase voll voneinander haben, alle kommen schlecht gelaunt zum Training, aber nach einer längeren Pause fehlt uns der Kontakt schon sehr”, sagt Beata Niesterowicz, außerhalb des Platzes Doktorandin am Institut für Mechanische Technologie der Westpommerschen Technischen Universität in Szczecin.

In der Mannschaft spielen hauptsächlich Polinnen, es gibt aber auch zwei Ukrainerinnen und eine Deutsche. Viele sehen im Vereinsspiel ihre Chance. Manchmal vermissen sie ihr Zuhause. Die Grenze zu Deutschland liegt nur einen Katzensprung entfernt, am Auswandern scheinen die Mädchen aus Polen jedoch kein Interesse zu haben. Dabei ist ihre Identifikation mit dem Verein oft stärker als die mit der Stadt. Wenn sie ins Ausland fahren, dann für ein Sparrings-Match. „Meistens sieht das so aus, dass wir hinfahren, spielen und gleich wieder zurückkommen“, sagt Patrycja Trzcińska, die aus Koszalin stammt. Seit sieben Jahren spielt sie für Olimpia. Abseits des Rasens ist sie Informatik-Studentin im ersten Studienjahr.

Männersache

Warum sie keine Ballerinas geworden sind oder kein Volleyball spielen? Viele der Mädchen schmunzeln. „Viele Menschen, vor allem Männer, können das nicht verstehen”, sagt Beata, „zum Beispiel kommen irgendwelche Typen an und sagen Dinge wie: „Tolle Mädchen, und dann auch noch so schön! Was spielt ihr denn?“ „Wenn wir dann antworten, dass wir Fußball spielen, sind sie meistens verwundert. Denn sie denken wohl, dass ein Mannschaftssport für Frauen eben Volleyball bzw. Handball bedeuten muss.“ „Fußball ist eine schon ziemlich brutale Sportart, man kann sich Verletzungen zuziehen, die einen für ein halbes Jahr außer Gefecht setzen. Männer wundern sich, dass Frauen sich für eine solche harte Sportart interessieren“, erklärt Beata.

Doch in den meisten Fällen waren es zu Beginn gerade Väter oder Brüder, die den Mädchen den Fußball näher gebracht haben. So war es auch bei Patrycja, die zunächst als einziges Mädchen in einer Mannschaft spielte. Dort wurde sie als eine von ihnen wahrgenommen, unter Spielern hat man sich problemlos verstanden. „Vor der Pubertät spielen wir das gleiche Spiel, wir sind uns sogar körperlich ähnlich, erst später werden dann die Unterschiede deutlich.“ „Mein Bruder meinte, dass ich nicht kicken kann, ich war also immer Torwartin – und so ist es auch geblieben”, lacht Beata.

„Vor der Pubertät spielen wir das gleiche Spiel, wir sind uns sogar körperlich ähnlich.”

„’Fußball? Im Ernst?‘ Früher kam diese Frage sehr oft, jetzt sind wir hier um einiges bekannter und viele denken sogar, wir würden für Pogoń spielen…dann erfahren sie von Olimpia und erwidern – ‚Ah, da kickst du so vor dich hin!‘. In der polnischen Liga kann man aber nicht noch höher spielen. Fernsehübertragungen der Spiele würden Vieles ändern. Das wäre eine Basis für Sponsoren“, sagt Patrycja. „Noch vor 10 Jahren hätte niemand hier darüber nachgedacht, dass eine Frau Fußball spielen kann. Das hat sich extrem verbessert“, fügt Beata hinzu.

Die Einstellung gegenüber Frauen und Fußball, so versichern die Spielerinnen, habe weder etwas mit der aktuellen politischen Lage im Lande zu tun, noch sei sie etwas typisch Polnisches. „Typisch polnisch ist vielleicht Bigos (ein polnischer Krauttopf)“, kommentiert Beata trotzig. Trotzdem geben sie zu, dass Frauenfußball in Deutschland, Frankreich oder den skandinavischen Ländern einen anderen Status hat. Die Menschen interessieren sich dort mehr dafür, die Spielerinnen verdienen deutlich besser, auch ausgelacht werden sie nur selten.

Beim benachbarten Klub Turbine Potsdam beispielsweise, erzählen die Mädchen, kommt es nicht selten vor, dass bei einem ganz normalen Ligaspiel 1000 Zuschauer auftauchen. Trainerin Natalia Niewolna erklärt: „Wir brauchen noch viel Zeit, um aufzuholen. Zu den Spielen der polnischen Nationalmannschaft kommen zwischen 4500 und 5000 Fans. Unser Vereinsrekord sind 500 Menschen vor vier Jahren bei einem Spiel der ersten Liga gegen den Klub Sztorm Gdańsk. Damals haben wir selbst Werbeplakate in der Stadt geklebt. 2011, bei einem Ausscheidungsspiel in Dresden, wo die USA gegen Korea spielten, platzte das Stadion beinahe aus allen Nähten. Das hier ist eine ganz andere Welt.“

Natürlich kotzt uns das an

Und genau in dieser anderen Welt fällt es polnischen Frauen nachwievor schwer, die Zukunft als Profifußballerin zu planen. Man könne in Polen, so versichern die Spielerinnen, nicht davon leben. Das hat zur Folge, dass viele der jungen Frauen ab ca. 20 Jahren auf den Fußball verzichten, da sie einfach keine Perspektive sehen. „Wenn man älter wird, muss man schon darüber nachdenken, wie man über die Runden kommt“, sagt Beata. Das System hilft dabei nicht. Eine Brücke zwischen der U19-Mannschaft und der sogenannten A-Mannschaft der erfahrenen Profi-Fußballerinnen, gibt es nicht. Bei den Männern gibt es noch die U21-Mannschaft, die einen sanften Übergang ermöglicht.

Auch Weronika würde gern weiter professionell spielen, aber in Polen kann sie sich das zur Zeit kaum vorstellen. „Wir drehen uns im Kreis. Die Bedingungen sind denkbar schlecht. Und manchmal hat man eben auch einfach keine Lust mehr, wenn man merkt, dass Jungs in der vierten Liga mehr haben als wir, aber nur dreimal die Woche trainieren.“ „Natürlich kotzt uns das an”, sind sich alle einig. „Aber wir haben keinen Einfluss darauf. Wir versuchen zu kämpfen, müssen aber geduldig sein.”

„Dass mit den Beinen gespielt wird, ist das Einzige, was uns verbindet.”

Eins der größten Probleme sei der ständige Vergleich mit Männern. Dabei sei Frauenfußball einfach eine ganz andere Sportart. „Dass mit den Beinen gespielt wird, ist das Einzige, was uns verbindet. Die Spiele sehen anders aus, die Trainings auch“, erklärt Patrycja. „Dann wird gesagt, dass eine Frauenmannschaft gegen irgendwelche Bolzer verloren hätte, und spätestens dann werden sie nicht mehr ernst genommen. In Polen glaubt niemand daran, dass Frauen gut Fußball spielen können. Körperlich können wir nicht mithalten, aber technisch und was unseren Ehrgeiz angeht, schon!“, ärgert sich Beata.

Sexismus beim Polnischen Fußballverband

Diese Art von Voreingenommenheit nehme zwangsläufig auch Einfluss auf die Haltung des Polnischen Fußballverbands (PZPN), durch den sich die Spielerinnen weder vertreten noch unterstützt fühlen. Das Thema taucht in fast jedem Gespräch mit den Fußballerinnen und Vereinsvertretern auf. Aktuell wird besonders ein Vorkommnis diskutiert. Olimpia hatte kürzlich öffentlich die Entscheidung über ein Spielergebnis kritisiert – ohne Reaktion seitens des PZPN. Die Sache war folgende: Olimpia hatte im Halbfinale 0:1 gegen die schlesische Mannschaft Czarni Sosnowiec verloren. Erst nach dem Spiel hatte sich herausgestellt, dass eine der Spielerinnen des Siegerteams nicht in der Schlussversion des ausgedruckten Protokolls genannt wurde, was aber laut Fußballordnung Pflicht ist. In ähnlichen Situationen bei Männerspielen hätte die PZPN auf Anhieb einen kampflosen Sieg verkündet, diesmal aber wurde das Ergebnis vom Feld beibehalten. Für viele der Spielerinnen ist dies der spürbare Beweis dafür, dass die Verbandspolitik einen direkten Einfluss auf ihre Mannschaft und somit sie selbst nehmen kann.

Piotr Spunda wundert sich gar nicht. Für den Vereinsgründer spiegelt sich in derartigen Reaktionen die allgemeine Einstellung des Fußballverbands zum Frauenfußball. Der Vorsitzende des PZPN, Zbigniew Boniek, zum Beispiel hat unlängst in einem Tweet verkündet, „er brauche keine Weiber, wenn er über Fußball spricht”. Auch das Video auf der Webseite des PZPN, das eigentlich für Frauenfußball werben soll, hat sexistische Züge und zeigt, dass der Verband den Sport nicht wirklich ernst nimmt. Es endet mit dem Slogan: „Fußball ist wunderschön, genau wie die polnischen Frauen“.

„Wir müssen immer ewig auf eine Entscheidung warten und haben dann meistens das ungute Gefühl, dass der Verband nicht hinter uns steht. Wir versuchen die Rechte unserer Spielerinnen zu schützen und für sie zu kämpfen. Frauenfußball ist längst kein Nischensport mehr, wir haben mehr Ernsthaftigkeit und Anerkennung verdient“, sagt Piotr. Der Verein konnte dafür auf die Unterstützung der Stadt Szczecin zählen, deren Regierung immer ein offenes Ohr für die Probleme der Mannschaft hatte. „Lokal funktioniert es viel besser als auf der nationalen Ebene, aber das überrascht sicher niemanden – wir werden ja nicht mal vom PZPN ernst genommen“, fügt er hinzu.

Roksana, die sich eine Fußverletzung zugezogen hat, bei Streckübungen. ©Katarzyna Mazur

Der Kampf für die eigenen Rechte ist für viele Spielerinnen aber nebensächlich. Die Situation „nervt zwar“, aber die Revolution überlassen sie lieber anderen. „Niemand kapiert so richtig, was im Verband passiert, bestimmt geht es auch um Geld. Aber darum kümmern sich unsere Präsidenten, Trainer und Vorsitzenden. Ich konzentriere mich aufs Spiel – solche Sachen bringen mich nur aus dem Rhythmus“, sagt eine der Spielerinnen.

Diese Kopf-in-den-Sand Haltung steht auch stellvertretend für die Politikverdrossenheit der Mannschaft. Unter den volljährigen Fußballerinnen hat lediglich eine bei den letzten Wahlen in Polen gewählt. „Das kostet einfach zu viele Nerven, sich dafür zu interessieren“, sagen Patrycja, Aleksandra und Weronika. „Die drehen da solche Dinger, der Sejm, der Senat, das ist nicht mein Ding“, fügt eine von ihnen hinzu. Dass Frauenrechte in Polen gefährdet seien, finden sie auch übertrieben. In ihrem näheren Umfeld gibt es keinen Anlass zur Beschwerde. „Obwohl. Der Skandal mit unserem polnischen Pokal…“ – wirft Patrycja Michalczyk nach kurzer Bedenkzeit ein. „Es gibt einige Regeln, die bei Männern beachtet werden, aber bei den Frauen nicht.“

„Männer sind zwar schneller, aber Frauen sind viel mehr mit dem Herzen dabei“, sagt Aleksandra. „Die Frau strengt ihren Kopf an, wo so mancher Mann keinen Schritt mehr hin tun würde“, fügt Trainerin Natalia hinzu. Daher müsse man kleine Schritte gehen, irgendwo müsse man ja schließlich anfangen: „Wir werden den Kampf auf unserem eigenen Spielfeld austragen.“

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